Die Gesellschaft verändert sich und so auch der freie zahnärztliche Beruf. Statt der Niederlassung in eigener Praxis bevorzugen immer mehr junge Zahnärztinnen und Zahnärzte eine Anstellung. "Wer versucht, dies aufzuhalten, wer an alten Strukturen verträumt festhält, der wird nicht gestärkt in die Zukunft gehen", mahnte Dr. Holger Kerbeck, Vorsitzender der Bezirkszahnärztekammer (BZK) Pfalz. Er nahm den Berufsstand in die Pflicht, Antworten auf die beruflichen Wünsche junger Kolleginnen und Kollegen zu geben und ihnen den Wert der Freiberuflichkeit zu vermitteln. Explizit nannte er die Notwendigkeit, die junge Zahnärzte-Generation und deren Lebensplanung besser zu adressieren. Er forderte, alternative freiberufliche Berufsausübungsformen neben der klassischen Einzel- und Gemeinschaftspraxis zu fördern. "Beständiges Jammern über Bürokratie, Einkommensverluste und Restriktionen und das betriebswirtschaftliche Risiko einer Niederlassung helfen hier nicht weiter. Gestalten, nicht verhindern. Das muss das Ziel von Kammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sein", betonte Kerbeck. Mit Blick auf die Bundestagwahl fordert er von der Politik, die freiheitliche und gemeinwohlorientierte zahnärztliche Berufsausübung durch einen passenden Regulierungsrahmen zu stärken. Die Entscheidungsräume für die zahnärztliche Therapiefreiheit und die individuelle Patientenbetreuung müssten erhalten bleiben.
Freiberuflichkeit muss gelebt werden
"Die Freiberuflichkeit ist kein Selbstläufer", bestätigte Florian Lemor, Hauptgeschäftsführer der Bundeszahnärztekammer. Er sieht in der Bundestagswahl eine Richtungswahl für die Freiberuflichkeit. Das von einigen Parteien verfolgte Konzept einer Einheitsversicherung erschüttere ihr Fundament. Doch nicht nur die deutsche, auch die europäische Politik fremdelt mit der Freiberuflichkeit, erläuterte Lemor. Insbesondere die Vorgaben für den einheitlichen Wirtschaftsmarkt tangieren die Heilberufe und schränken sie in ihrer freiberuflichen Tätigkeit ein. Sinnvolle nationale Berufsreglementierungen werden zugunsten von Wettbewerb und Mobilität innerhalb der EU aufgeweicht. Will die Freiberuflichkeit in Zukunft bestehen, müsse sie glaubhaft und nachweisbar gelebt werden. Lemor: "Dafür braucht es Vorbilder, die die zwei Seiten der Medaille leben: die Rechte und die Pflichten der Freiberuflichkeit." Die Rechte der Freiberuflichkeit entstünden dabei stets aus deren Pflichten.
Gestalten statt verwalten
Marcus Koller, Vorstandsvorsitzender der KZV Rheinland-Pfalz, kritisierte die hohe Schlagzahl an Gesetzen, die den Praxisalltag strapazieren und zu Lasten der Patientenbehandlung gehen. "Höher, schneller, weiter, am besten bis gestern – die Gesetzgebung ist auf der Überholspur." Exemplarisch wandte er sich dem Zukunftsthema Digitalisierung und der Telematikinfrastruktur (TI) zu. Als technikaffiner Berufsstand sei die Zahnärzteschaft bereit, ihre Praxen an die TI anzubinden. "Doch der Ärger sitzt bei vielen tief", befand er. Fehleranfällige, technisch nicht ausgereifte Lösungen und gesetzlich aufgebürdete Sanktionen mit unrealistischen Einführungsfristen bremsten die TI aus. Für mehr Akzeptanz brauche es zuverlässige, praxisnahe Anwendungen mit Benefit für Praxen und Patienten. Sanktionsbewehrte Fristen müssten abgeschafft werden. Im Vorfeld der Bundestagwahl forderte er die Politik zum steten Dialog auf und unterstrich den Gestaltungswillen der Zahnärzteschaft. "Es ist unser Anspruch, Patientenversorgung zu gestalten statt zu verwalten. Unser Anspruch ist es, uns nicht fremdbestimmen zu lassen, sondern konstruktiv-kritisch mitzuwirken."
KI als intellektueller Leistungsverstärker
Alle zwei Jahre ist das Hambacher Schloss Schauplatz des Pfälzischen Zahnärztetages von BZK Pfalz und KZV Rheinland-Pfalz. In diesem Jahr fand er wegen der Pandemieauflagen virtuell statt. Unter dem Leitmotiv "Gestärkt in die Zukunft" diskutierte die Zahnärzteschaft neben zahnärztlichen Positionen auch gesellschaftskritische Themen. Festredner in diesem Jahr war Prof. Dr. Andreas Dengel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Die Künstliche Intelligenz (KI) habe ihren jüngsten Schub durch die wachsende Datenmenge (Big Data) und höhere Rechnerleistungen erhalten. Potenzial birgt sie zum Beispiel in der medizinischen Diagnostik. Dengel zufolge kann KI inzwischen anhand von Bildern Hautschäden genauso exakt beurteilen wie Dermatologen. Der KI-Experte wollte in seinem Vortrag auch Bedenken nehmen: "KI ist keine Technologie, um den Menschen nachzubauen, sondern sie dient als intellektueller Leistungsverstärker, der den menschlichen Verstand erweitert."
Zahnheilkunde fürs alternde Gebiss
Die Alterszahnheilkunde (Gerodontologie) gewinnt immer weiter an Bedeutung, führte Prof Dr. Frauke Müller, Universitätskliniken Genf, aus. Älter werdende, multimorbide Patienten, die immer mehr natürliche Zähne lange erhalten, hätten der Gerodontologie den Boden bereitet und die Prothetik in den vergangenen Jahrzehnten signifikant verändert, erläuterte sie. Eine altersgerechte prothetische Versorgung sollte stets die Therapie- und Mundhygienefähigkeit sowie die Eigenverantwortlichkeit des Patienten berücksichtigen. Nicht alles, was zahnmedizinisch machbar ist, macht Sinn, so ihr Credo. Wichtig bei der Planung der Zahnersatz-Versorgung sei es zudem, die Eigenständigkeit des Patienten so lange wie möglich zu bewahren. "Autonomie ist das höchste Gut und Lebensqualität", sagte sie. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und Multimorbidität hält sie zudem eine holistische Betrachtung der Patienten für notwendig. Müller: "Wir müssen uns als Teil der Medizin verstehen und den Austausch mit Haus- und Fachärzten suchen."